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Sex als… Kommunikation (C.J. Ahlers)

Christoph Joseph Ahlers ist mein derzeitiger Lieblingsdenker am Himmel der Sexualtherapie. Bisher ist er vor allem in Deutschland bekannt und nachdem ich mich lange gefragt habe, wieso er nicht noch breiter aufgegriffen wird, habe ich den Verdacht, dass sein Ansatz einerseits hauptsächlich Intellektuelle anspricht und dass er sich andererseits weniger aus Selbstvermarktung macht, als andere, bekanntere Sexualtherapeut*innen. Ahlers brennt neben seiner Praxis besonders für klinische Forschung, eine wichtige Aufgabe, die aber erklären könnte, wieso er bisher wenig breiten-fähige Veröffentlichungen machte.

Irgendwie gab er dann aber 2013 dieses Interview, das mich so begeisterte, dass ich direkt meine Ausbildung zur Sexualtherapeutin begann: https://www.zeit.de/2013/18/sexualitaet-therapie-christoph-joseph-ahlers

Auch Ahlers war scheinbar begeistert, denn mit Michael Lissek baute er das Interview zügig zu einem Buch aus, das 2015 erschien: https://www.goodreads.com/book/show/34092832-vom-himmel-auf-erden

Das Buch ist wirklich fantastisch, auf Amazon erhielt es bisher ausschließlich (!) 5-Sterne-Rezensionen, eine davon von mir, die ich hier reposte:

Ich habe das Buch verschlungen und nun fällt es mir schwer, eine Rezension zu schreiben, ohne überschwänglich zu werden. Ahlers ist ein hervorragender Denker und gemeinsam mit Lissek gelingt es ihm, seine Gedanken in großer Trennschärfe und Klarheit zu platzieren. Dabei erläutert er jede Idee mit Beispielen, Anekdoten und Metaphern einerseits und schöpft tief aus Kultur und Forschung sowie seiner klinischen Praxis andererseits. Er schreibt greifbar, aus dem Leben und auf den Punkt und gleichzeitig mit einer hohen inhaltlichen Dichte bei wenigen Wiederholungen. Unprätentiös und menschlich bekommt jede Idee ihren Platz.

Das Buch beginnt dicht und deckt direkt zu Beginn einen guten Teil des gleichnamigen Zeitungsinterviews ab, aus dem es entstand. So fragte ich mich, was da noch kommen soll, der Aufbau erschloss sich mir nicht direkt. Tatsächlich bleibt der Text dicht, spannend und bereichernd bis zur letzten Seite, nach der sich das Ganze auch rund anfühlt. Ahlers und Lissek spazieren gleichsam durch das weite Feld der Sexualtherapie und diskutieren überwiegend Alltagssexualität und Kultur. Bei Ahlers bleiben auch Abstecher in die Forensik nicht aus, bei denen er es versteht, auch die extremsten Formen menschlicher Sexualität behutsam auf einem Kontinuum darzustellen und so Bedürfnisse und Fantasien zu erläutern, die viele Menschen erleben.

Zentrale These des Buches ist ein Verständnis von Sex als Kommunikation mit der elementaren Botschaft des Angenommen-Seins: Das ist es, wonach wir uns sehnen, dass uns jemand will, so wie wir sind, mit Haut, Haaren, Stärken, Schwächen und Eigenheiten. Unter dieser Prämisse erklären sich viele sexualtherapeutische Themen wie von selbst und so werden auch im Buch verschiedenste Anlässe für Sexualtherapie letztlich mit Unterbrechungen der Kommunikation erklärt. Damit, dass wir aufhören, miteinander übereinander zu sprechen. Zu der Annahme durch andere gesellt sich immer auch die Annahme durch uns selbst. Wer es in dem Sinne vermag, eine erfüllende sexuelle Beziehung zu entfalten, erlebt eine Erfüllung und Selbstwertstabilisierung, die immun gegen die Anforderungen der Welt macht.

In Sachen Kultur diskutiert Ahlers in erster Linie externe gesellschaftliche Leistungsansprüche, die zunehmend verinnerlicht werden und so unser gesamtes Person-Sein „infiltrieren“. Diese Leistungsansprüche laufen einer erfüllenden Sexualität zuwider, denn sie stehen Entspannung, Selbstannahme und ergebnisoffener Kommunikation im Weg. Besonders deutlich wird dies, wenn er verschiedene medizinische Interventionen ohne vorherige oder begleitende psychodynamische Anamnese oder Therapie kritisiert.
Insgesamt ist Ahlers‘ Denken von enormem intellektuellem-, sprachlichem und menschlichem Können. Mit dieser seltenen Kombination ist das Buch sowohl spannend und erfrischend humorvoll als auch aufklärend, bildend und getragen von einer begeisternden Lebendigkeit, Liebe zum Leben und zur Menschlichkeit und dem konsequenten Willen, zu integrieren, was wir abstoßend finden. Denn das, was da abgestoßen wird, sind möglicherweise kollektive Eigenanteile.

Um das alles abschließend zu veranschaulichen, hier zwei Zitate:
„Die subversive Kraft der Sexualität liegt in dem Umstand, dass sie das größte Freiheitspotenzial birgt, das wir Menschen erleben können. Die Möglichkeit, einen wirklich anarchischen Raum zu kreieren, in dem keine Regeln gelten außer Achtsamkeit, Mitmenschlichkeit und Rücksicht aufeinander. […] Unserer Sexualität wohnt eine Kraft inne, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Und diese Kraft besteht […] im Gefühl der Aufgehobenheit im anforderungslosen Miteinander. In der Erlösung durch Überwindung von Vereinzelung.“
„[Während einer Kinderwunschbehandlung] muss auf den Punkt etwas stattfinden, funktionieren, klappen und – im wortwörtlichen Sinne – etwas dabei ‚herauskommen‘. Beim Mann das Sperma, bei der Frau das Baby.“

Ein wichtiges und schnörkelloses Buch, auf das ich gewartet habe. Meine warme Empfehlung!

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